Dr. Silke Beisiegel
Diplom-Restauratorin für Ihre Gemälde, Rahmen und gefassten Holzskulpturen



BeisiegeLOG: Maltechnik & Restaurierung im Detail


Wie sind Gemälde und Skulpturen entstanden und welche Spuren helfen, den Werkprozess zu entschlüsseln? Wie können Kunstwerke erhalten werden?

In meinem Blog gebe ich Einblicke in die kunsttechnologische Forschung sowie in die Konservierung und Restaurierung von Gemälden und gefassten Holzskulpturen. Dabei geht es sowohl um technische Untersuchungen als auch um praktische Herausforderungen.


Die Beiträge beleuchten für Kunstinteressierte Fragen rund um Materialien und deren Verwendung in Kunstwerken sowie deren Erhaltung.
Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf der Kunst des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Ergänzend wird für alle, die mehr über das Thema wissen möchten, auf weiterführende Fachliteratur, digitale Publikationen und Datenbanken verwi
esen.

 

Stilisierte Darstellung des Blicks durch das Mikroskop: runder Auschnitt zeigt Gemäldedetail



Willkommen bei BeisiegeLOG!

Ich bin promovierte Restauratorin für Gemälde und gefasste Holzskulpturen mit einem Faible für maltechnische Details und die Kunst um 1900.
In meinem Blog verbinde ich Forschung und Praxis – mal sachlich, mal mit einem Augenzwinkern.

Denn die Freude an der Kunst und ihrer Erhaltung begleitet mich durch alle Projekte.


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Beiträge zu Maltechnik & Restaurierung im Detail

Der nächste Beitrag in diesem Blog erscheint voraussichtlich am 01.12.2025.




2025-11-01

Korkmodelle und ihre Herstellung: Eine Spurensuche

Korkmodelle antiker Architektur faszinieren bis heute. Seit ich eines restauriert habe, sehe ich sie mit anderen Augen. Sie beeindrucken durch ihre Detailgenauigkeit, ihr ungewöhnliches Material und die Art, wie sie Geschichte in Form und Raum übersetzen. Wer sie betrachtet, entdeckt nicht nur die Technik der Korkbildnerei, sondern auch ein Stück Kulturgeschichte – vom Verhältnis von Wissenschaft und Kunst bis hin zu Fragen der Wissensvermittlung.
Während meines Studiums konnte ich ein Praktikum in der Restaurierungswerkstatt des Hessischen Landesmuseums Darmstadt absolvieren. Unter der Anleitung von Petra Achternkamp arbeitete ich an einem dieser außergewöhnlichen Modelle. Die Darmstädter Sammlung umfasst 26 der ursprünglich 36 Modelle des römischen Künstlers Antonio Chichi (1743–1816), die aus der großherzoglichen Sammlung stammen. Weitere bedeutende Bestände in Deutschland gibt es mit 33 Modellen in Kassel und 12 weiteren in Gotha. 

Historischer Kontext: Die Kunst der Phelloplastik
Die Herstellung von Architekturmodellen aus Kork, auch als Phelloplastik genannt, entwickelte sich im späten 18. Jahrhundert. Als Erfinder dieser Technik wird häufig Augusto Rosa (1738–1784) genannt, der nach einer Reise mit Piranesi in Paestum den Poseidon-Tempel als Korkmodell nachbildete. Auch Antonio Chichi ließ sich von Piranesis Arbeiten inspirieren. Das zeigen unter anderem Maßstab und Inschriften. In Deutschland sind Carl May (1747–1822) und sein Sohn Georg als bedeutende Korkbildner nachweisbar. Die größte Sammlung, mit 54 Korkmodellen von Carl May, befindet sich in Aschaffenburg und orientiert sich stark an Chichis Modellen.

Material und Aufbau: Was sich am Objekt ablesen lässt
Die Grundlage der Modelle ist Kork, der aus der Rinde der Korkeiche gewonnen wird. Diese kann erstmals nach 30 Jahren geerntet werden. Die Rinde bildet eine bis zu zehn Zentimeter dicke, elastische Schicht, die alle sieben bis zwölf Jahre erneut abgenommen wird.
Die Arbeit am Darmstädter Tempelmodell offenbarte Hinweise zur Konstruktionsweise und zu den verwendeten Materialien. Eine stabile Holzkonstruktion bildet die Bodenplatte, in die Stäbe für die Säulen eingelassen sind, die vermutlich bis in den Architrav reichen. Die Säulen bestehen aus Korktrommeln mit eingearbeiteten Kanneluren. Der Architrav ist mit profilierten Korkstücken geschmückt. Der Mauerverband besteht einerseits aus einzelnen Kork-Mauersteinen und andererseits aus größeren, horizontal gerillten Korkflächen auf der Rückseite. Die Konsolen, Kapitelle und Reliefs sind aus einer Masse gegossen oder gepresst. Die Nähte deuten auf mehrteilige Formen zur Herstellung hin.
Die Fassung ist generell matt. Der Bodenbereich zeigt eine dickere, helle Grundierung, die mit aufgestreutem Sand bestreut wurde. Die Architektur selbst ist partiell auf einer sehr dünnen, hellen Grundierung in Grautönen gefasst. An vielen Stellen bleibt der Kork sichtbar, um den Ruinencharakter zu betonen.

Blick in eine Quelle: Abgleich mit den Herstellungspuren
Eine bekannte historische Quelle ist das 1804 erschienene Buch über Phelloplastik von Ignaz Ferdinand Arnold. Arnold war jedoch selbst kein Korkbildner. Er beschreibt Werkzeuge und Methoden, die sich an Schreiner- oder Buchdrucktechniken anlehnen: Messer und Hobel (vorher eingefettet), feine Sägen, Raspeln und Feilen. Für Kanneluren und Verzierungen erwähnt er speziell geschnittene Formen, die mithilfe einer Stahlpresse in den Kork gepresst wurden. Gleichförmige, sich wiederholende Muster am Modell sprechen für dieses Vorgehen.
Arnold schildert auch das Einpressen von Inschriften mit beweglichen Lettern. Die Einschnitte am Chichi-Modell lassen jedoch eher auf ein Schneiden als auf ein Pressen schließen. Zudem widersprechen restauratorische Erfahrungen Arnolds Aussage, dass Leisten und Gesimse mit Hobeln hergestellt wurden.
Für Kapitelle und Reliefs nennt er Gussverfahren mit gefärbtem Gips oder Ton. Dieser Hinweis bestätigt sich am Chichi-Modell: Gussnähte verweisen auf mehrteilige Formen und Spuren auf Nachbearbeitung. Auch seine Angaben zu Leimfarben und einer Sandmischung für Erdflächen passen zu den Beobachtungen am Modell.

Was hat ein Korkmodell aus dem 18. Jahrhundert heute zu erzählen?
Die Korkmodelle sind mehr als nur kunsthandwerkliche Meisterwerke. Sie dokumentieren den Versuch, antike Architektur „begreifbar“ zu machen, und vermitteln zugleich den Zustand der Ruinen im 18. Jahrhundert. Durch die Liebe zum Detail und den Charme des Korks wird ein Stück römischer Geschichte lebendig – betrachtet durch die Augen der damaligen Korkbildner.
Bei meiner Arbeit am Darmstädter Modell habe ich erfahren, welche Erkenntnisse sich durch das Zusammenspiel von Objektuntersuchung, handwerklichem Verständnis und Quellenstudium ergeben. Die Erfahrung an mit einem außergewöhnlichen Material und der matten, feinteiligen Oberfläche war nicht nur eine Reise in die Vergangenheit, sondern auch ein wertvoller Bezugspunkt für moderne Objekte.
Wer sich mit Architekturgeschichte oder Modellbau beschäftigt, findet in diesen Werken ein anregendes Forschungsfeld – und eine Einladung, genauer hinzusehen. Die Korkmodelle eröffnen uns nicht nur einen Blick auf antike Architektur, sondern machen zugleich erfahrbar, welchen Wert Materialität und Handwerk in einer zunehmend digitalisierten Wissenskultur besitzen.

Literaturauswahl
I. F. Arnold (anonym): Felloplastik oder die Kunst Modelle von antiken Gebäuden in Kork darzustellen, Gotha 1804.
Gerhard Bott, Anita Büttner (Hrsg.): Korkmodelle von Antonio Chichi, Darmstadt 1969.
Peter Gercke, Nina Zimmermann-Elseify, Anita Büttner (Hrsg.): Antike Bauten. Korkmodelle von Antonio Chichi 1777–1782. Staatliche Museen Kassel, 2. unv. Aufl., Kassel 2001.
Werner Helmberger, Valentin Kockel (Hrsg.): Rom über die Alpen tragen. Fürsten sammeln antike Architektur: Die Aschaffenburger Korkmodelle. Mit einem Bestandskatalog. Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen, Landshut/Ergolding 1993.
Rainer Holz: Ein Tempelmodell aus Kork. Restaurierungstechniken für ein Pilotprojekt. In: Restauro Heft 3, 2003, S. 168–173. 

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Silke Beisiegel - 20:58 @ Material und Technik, Bildwerke


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